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12. März 2025

Analyse der aktuellen Entwicklungen an den Kapitalmärkten

„Whatever it Takes“ in Deutschland und ein Wendepunkt für Europa

Die wirtschaftliche und vor allem geopolitische Landschaft in Europa ist aktuell einen besonderen Stresstest ausgesetzt. Nicht nur die stotternde Wirtschaft und maue Wachstumszahlen, sondern auch der Rückzug der US-Sicherheitsgarantien erfordern ein Umdenken und neue Herangehensweisen.

Friedrich Merz kündigte in einer historischen Rede an, die verfassungsrechtlich verankerte „Schuldenbremse“ zu lockern und anzupassen und einen Infrastruktur- und Verteidigungsfonds einzurichten. Die geplanten Summen sind gewaltig: Der Infrastruktur-Fonds alleine soll 500 Mrd.  Euro umfassen – über 12 % des deutschen BIP. Ein 400 Mrd. Euro (vorläufige Schätzung von Reuters, keine offizielle Summe bekannt) Verteidigungsfonds, der nach aktueller Interpretation theoretisch nach obenhin unbegrenzt ist, würde zusätzlich die nationale und internationale Rüstungsindustrie befeuern.

Zusätzlich sind weitreichende Maßnahmen auf EU-Ebene geplant, die einen fiskalischen Impuls von bis zu 2,4 % des deutschen BIP bewirken könnten. Ursula von der Leyens „ReArm Europe“-Initiative sieht Investitionen von 650 Milliarden Euro in die europäische Verteidigung vor, ergänzt durch die Emission gemeinsamer europäischer Anleihen im Umfang von 150 Milliarden Euro zur finanziellen Unterstützung einzelner Nationalstaaten. Diese Maßnahmen könnten das zukünftige Wachstum der europäischen Wirtschaft spürbar ankurbeln – zugleich bergen sie jedoch erhebliche Inflationsrisiken. Dennoch stellt dieses Programm einen längst überfälligen wirtschaftlichen Impuls dar, der sowohl Deutschland als auch Europa nach Jahren der Stagnation neuen Auftrieb verleihen könnte.

Doch zur Beschließung des Vorhabens ist eine Anpassung der deutschen Verfassung notwendig, die aktuell nur im alten Bundestag realistisch scheint. Eine Gemeinschaft aus CDU/CSU, SPD und den Grünen würde die notwendige Dreiviertelmehrheit erreichen, um diesen Schritt zu ermöglichen – auch wenn sich die Grünen aktuell noch zieren. Im neuen Bundestag wäre eine Zustimmung von entweder die Linken oder AfD notwendig, welche aktuell das Vorhaben als kritisch und undemokratisch einstufen. Ein Beschluss des alten Bundestags ist theoretisch so lange noch möglich, bis das neue Parlament konstituiert ist. Das Vorhaben soll Berichten zufolge bereits in der nächsten Sitzung im Bundestag abstimmungsfähig sein.

Die Folge der erhöhten Staatsverschuldung ist ein signifikant steigendes Angebot an Staatsanleihen, was deren Preise sinken, und Renditen steigen lässt. Die Rendite der zehnjährigen deutschen Staatsanleihe stieg um mittlerweile 40 Basispunkte auf 2,85 % – der stärkste Anstieg an einem Tag seit 1990. Auch in Frankreich, Italien und Großbritannien zogen die Renditen an. Europas wirtschaftliche und geopolitische Weichen werden scheinbar neu gestellt – mit einem wiedererstarkten Deutschland an vorderster Front.

Im Asset-Management ergeben sich dadurch nun interessante neue Möglichkeiten. Euro-Anleihen sind nun im globalen Vergleich, vor allem zu USD-Anleihen, deutlich attraktiver geworden. Als unmittelbare Auswirkung ist die Stärke des Euros zum US-Dollar auffällig, welcher mit aktuell 1,085 den höchsten Wert seit November 2024 aufweist – seit Trump als US-Präsident wiedergewählt worden ist.

Durch die Verschiebung der Zinskurve sind allerdings nicht nur Hedging Kosten für USD-Bonds gegen Euro teurer geworden (aktuell ca. 2,05% p.a.), auch zu erwartende Rollgewinne im Euro-Raum sind deutlich gestiegen. Die risikofreie Euro Swap Kurve weist nun im Bereich 2 – 5 Jahre eine Steilheit von rund 16 Basispunkten (0,16%) auf, per 1. März betrug dieser Wert lediglich 5 Basispunkte (0,05%). Im Anleihenkontext ist das ein deutlicher Anstieg, welcher jährliche zu erwartende Rollgewinne um bis zu 0,10-0,20% p.a. steigern lässt – zusätzlich zum Basiszinsanstieg von ca. 0,25%. Auch wenn die merkliche Marktpreiskorrektur von Anleihen an einem Tag schmerzhaft erscheint, so kann man als Investor nun attraktive Ertragserwartungen für risikoarme europäische Staatsanleihen erwerben, welche im Schnitt nun 0,3-0,4% höher sind. Eine 10-jährige Deutsche Bundesanleihe weist aktuell eine Basisverzinsung von 2,8% bei einer Ertragserwartung von knapp über 3% p.a. auf. Zum Vergleich: ein 10-jähriger US-Treasury weist nach Absicherung des Fremdwährungsrisikos eine Ertragserwartung von ca. 2,3% auf.

Risikoprämien für Unternehmensanleihen oder Emerging Markets blieben von diesem Zinsanstieg unbeeindruckt und sanken sogar. Dies ist als Ergebnis der zugesagten Infrastruktur- und Rüstungsausgaben zu interpretieren, welche von den Märkten positiv aufgenommen wurden. Somit kann festgehalten werden, dass die Volatilität in den letzten zwei Tagen hauptsächlich durch die enorme Ausweitung des Marktangebotes an neuen Anleihen wahrgenommen wurde und nicht als Risikoanstieg oder Sorge von potenziellen Refinanzierungsrisiken von Deutschland. Ganz im Gegenteil, der Kapitalmarkt hat schon länger auf eine Initialzündung des „schlafenden Riesen“ Deutschland gewartet, der bei einer Verschuldung von aktuell ca. 70% des BIPs über genug finanziellen Spielraum verfügt.

„Honeymoon is over“

Zum Wahlsieg Trumps im November des vergangenen Jahres haben sich die US-Aktienmärkte noch euphorisch gezeigt. Diese Euphorie hielt einige Tage an, ebbte bis zur Inauguration im Januar 2025 sukzessive ab und wich einer extrem vorsichtigen und scheuen Haltung vieler Investierender. Sichtbar wurde dieser Wechsel lediglich in geringen Kurskorrekturen. US-Aktienindizes notieren weiterhin nicht unweit der Höchststände, jedoch seit Jahresbeginn bereits im negativen Bereich.

Unter dieser vermeintlich ruhigen Oberfläche zeichnet sich dieser Tage eine materielle Verschiebung des Leadership ab. Noch bis zum Jahresende führten die bekannten IT-Größen (FANG, AI etc.) die Performanceführerschaft in den diversen Indexportfolios an. Dies hat sich in diesem Jahr grundlegend geändert. Mit den rau anmutenden, und aus demokratischer Sicht ungewohnt direkt verabschiedeten Maßnahmen, verstört der neue Präsident samt Gefolgschaft nun immer mehr Verbraucher und Investierende. Die Börsendarlings dieser Zeit und in den vergangenen Jahren zu Indexschwergewichte angewachsenen Aktiengesellschaften führen nun die Liste der Verlierer an – zudem verschlechtern sich die Aussichten auf volkswirtschaftlicher Ebene.

Auf das Anwachsen von Konzentrationsrisiken in den diversen Indizes und Aktienportfolios weisen wir seit einigen Jahren hin und haben auf diese Schieflage mit der Beimischung von diversifizierenden Portfoliobausteinen in klassisch ausgerichtete Portfolios reagiert. Dies betrifft Gewichtungskonzentrationen ebenso wie die regionale Ausgewogenheit, die immer noch sehr stark US-konzentriert ist.

Es ist weitaus bekannt, dass Trends an den Aktienmärkten oft länger anhalten als man glauben mag. So haben sich die Kurse und die Bewertungen einzelner Segmente am US-Aktienmarkt auf immer höhere Niveaus aufgeschaukelt. Ob die aktuelle Korrektur der Beginn einer länger anhaltenden volatilen Phase ist, wird sich zeigen. Kausal spricht einiges dafür.

Im Zuge der Berechnung langfristig erwartbarer Aktienerträge verarbeiten wir Wachstum, Ausschüttungen und Bewertungen in realistischen langfristigen Erwartungswerten. Kursbewertungen dämpfen bzw. heben dabei den Renditeausblick. So liegt der langfristige Ertragsausblick europäischer Aktien trotz der Kursstärke in den letzten Wochen weiterhin deutlich über dem von US-Aktien, für die der Blick nach vorne mit in etwa 6% p.a. bescheidener bemessen wird.

Die teils verstörenden Manöver des neuen US-Präsidenten haben sichtbar dazu geführt, dass Investierende ihr US-Exposure neu überdenken und die Aktienveranlagung in Märkte mit attraktiveren Ertragsaussichten überführen. Diese Argumentation ist allerdings auch nicht mehr als ein Versuch, das Performance-Delta zwischen USA und Europa von mittlerweile über 15% seit Jahresbeginn zu erklären. Aktuell ist das Band sehr gedehnt und zumindest kurzfristig erscheint eine Gegenbewegung überfälliger denn je.

Alfred Kober
Vorstand, CIO, Leitung Aktienfondsmanagement
Alfred Kober

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